Gesprächsrunde mit Herrn Prof. Dr. Brambring auf dem Familienseminar 2013 in Dassel

Wie bereits die Jahre zuvor, hat sich Prof. Dr. Michael Brambring auch in diesem Jahr wieder bereit erklärt, zu unserem Familienseminar zu kommen und den Familien für Gespräche zur Verfügung zu stehen.

Vor den Einzelgesprächen fand eine Gruppendiskussion mit ca. 30 interessierten Eltern von blinden bzw. sehgeschädigten Kindern aus allen Altersklassen statt.

Die Themen wurden von den Eltern bestimmt und konzentrierten sich auf folgende 3 Hauptthemen:

  1. Stereotypien
  2. Umgang mit Andersartigkeit (anders sein)
  3. Förderung von sozialen Kompetenzen/Sozialverhalten

Zu Punkt 1:

Zunächst erläuterte Herr Prof. Dr. Brambring die Gründe, warum blinde Kinder auf Stereotypien zurückgreifen:

a) Blinde Kinder haben weniger Bewegungsauslauf als sehende Kinder. Durch die geringere Mobilität von blinden Kindern wird die Bewegung am Ort gemacht (wie z.B. auf dem Stuhl mit dem Oberkörper hin- und herschaukeln).

b) Ausdruck einer Gefühlslage/Stimmung (Langeweile oder emotionale Erregung wie Freude oder Ärger) z.B. durch Wedeln mit den Armen.

c) Überforderungssituationen, welche teilweise bereits bei einfachen Alltagssituationen wie z.B. Essen oder Schlafen auftreten. Die Kinder reagieren dann mit Abwehrreaktionen.

Es wurde diskutiert, wann und wie man eingreifen sollte.

Wie lässt sich das Kind aus der Stereotypie rausholen?

Grundsätzlich gilt: Unsere Kinder brauchen in dem jeweiligen Moment ihre Stereotypien und wir sollten sie ihnen nicht wegnehmen, sondern Alternativen bieten!

Dies besagt auch der Therapieansatz von Herrn Hecker von der Blista:

Nicht wegnehmen sondern von der Umwelt akzeptierte Verhaltensweisen/alternative Mechanismen beibringen (z. B. Arme verschränken oder Arme strecken statt Hände in die Augen bohren)

Um den Bewegungsauslauf zu fördern kann man den Kindern eine Tobe-Ecke einrichten, wo sie in einem sicheren Bereich motorische Aktivitäten ausleben können.

Im Kleinkindalter kann man versuchen, entweder gar nicht auf die Stereotypie zu reagieren, also tolerieren, oder durch kurze klare Anweisungen ohne Erläuterung (z.B. Stopp, lass das sein!) dem Kind Grenzen zu setzen.

Mit wachsendem Alter sollte man versuchen, dem Kind die Stereotypien über den Verstand abzugewöhnen. Damit kann man im Alter von 8-9 Jahren beginnen (Abhängig von den kognitiven Fähigkeiten des Kindes).

Man kann mit dem Kind verhandeln (z.B. bei einer Stunde ohne Stereotypie gibt es eine Belohnung). Die Kinder sollten langsam und schrittweise an das gewünschte Verhalten herangeführt werden.

Man kann mit dem Kind auch eine Vereinbarung treffen, dass es zu Hause seine Stereotypien ausleben kann, aber in der Öffentlichkeit nicht.

Das erwünschte Verhalten sollte man durch Loben und emotionale Zuwendung belohnen.

Wichtig dabei ist, dass alle Bezugspersonen des Kindes an einem Strang ziehen und sich ähnlich gegenüber dem Kind verhalten.

Durch inkonsequentes ambivalentes Verhalten wird die Stereotypie noch verstärkt.

Zu Punkt 2 und 3:

Blindheit gilt in der heutigen Gesellschaft immer noch als schwerste Behinderung. Die Reaktion der Umwelt ist meistens Mitleid.

Doch auch blinde Kinder müssen soziale Regeln lernen.

Das Problem dabei ist in der Regel die unkorrekte Rückmeldung der Eltern und des sozialen Umfeldes. Dem Kind wird meistens ein Schonraum geschaffen, da die Eltern ihr blindes Kind nicht auch noch mit den eigenen Sorgen und Befindlichkeiten belasten wollen. Aber das ist genau der falsche Weg. Mit blinden Kindern muss auch über die Befindlichkeit der Eltern gesprochen werden.

Das Kind darf nicht in Watte gepackt werden, es muss auch negative Erfahrungen machen. Es darf nicht immer eine extra Behandlung erhalten.

Ein blindes Kind kann genauso soziale Regeln lernen wie ein sehendes.

Nicht jeder Mensch lässt sich gerne anfassen oder an die Hosentaschen gehen.

Das muss auch ein blindes Kind erfahren.

Soziale Kompetenz wird nur durch Rückmeldung des Umfeldes gelernt.

Vielen Dank an Herrn Prof. Dr. Brambring für die vielen wertvollen Tipps.